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Eingeschlafen oder hellwach?

Klagenfurt 2002 aus der Sicht des Fernsehzuschauers  

Der Bachmann-Wettbewerb findet alljährlich im Juni statt. Je eine halbe Stunde wird gelesen, dann eine halbe Stunde diskutiert. Man kann sich das im Fernsehen ansehen.
München, September 2002 - Alljährlich beurteilen acht Juroren in Klagenfurt bei den "Tagen der deutschsparchigen Literatur" Prosatexte. Es geht um den Bachmannpreis. Je eine halbe Stunde wird gelesen, dann eine halbe Stunde diskutiert. Man kann sich das im Fernsehen ansehen: Am ersten Tag lesen sechs Autoren, am zweiten wieder sechs und am letzten Tag nochmal 4. Also 16 Stunden Literatur insgesamt.

Klar, dass das für den Zuschauer anstrengend ist. Ich war froh, dass ich nicht in Klagenfurt direkt zuhören musste, sondern daheim auf dem Sofa im Fernsehen zugucken konnte. Da kann man auch mal einnicken, wenn's langweilig wird. Meistens war es das nicht. Danke, 3sat: Es waren wohl die schönsten Fernsehstunden des Jahres.

Klagenfurt lohnt sich
Die Anstrengung auf dem Sofa lohnt sich für Prosaautoren: Man hört gute neue Geschichten. Man sieht, wie man Texte interpretieren, analysieren, werten kann. Man lernt, was die Kritiker mögen. Da die Jury nicht nur aus Kritikern und Germanistikprofessoren besteht, sondern mit Robert Schindel, Birgit Vanderbeke und Burkhard Schindel auch die Autoren gut vertreten sind, ist das ganze nicht einseitig.

Ich habe beim Fernsehen unwillkürlich versucht, mir schon vor dem Urteil der Jury eine Meinung zu bilden. Das trainiert die eigene Urteilskraft gegenüber Texten. Und das ist nicht nur gut für das Beurteilen fremder, sondern auch eigene Geschichten.

Verständliche Texte
Mir hat gefallen, dass ein Großteil der Texte recht verständlich war. Die meisten Geschichten waren wohl weniger hermetisch als bei früheren Wettbewerben. So auch die Texte, die die beiden ersten Preise erhielten, die "Geschichte von nichts" von Peter Glaser sowie "Insel vierunddreißig" von Annette Pehnt. Diese beiden Geschichten waren auch meine Favoriten - wobei ich allerdings den ersten Tag nicht gesehen habe. Und die Geschichte "Heul doch" von Melanie Arns, die beinahe einen Preis bekommen hätte, hat mir auch gut gefallen. Mit Christof Bauer und Raphael Urweider erhielten aber auch zwei Texte einen Preis, die sich mehr mit Sprache als mit der Wirklichkeit beschäftigen. Bei diesen Texten bin ich auf dem Sofa manchmal eingenickt - Abstimmung mit den Augenlidern.

In der Sprache oder mit der Sprache?
Robert Schindel, Schriftsteller und Vorsitzender der Jury, sagte nach der Preisverleihung, man müsse in Zukunft mehr darauf achten, dass mehr Autoren lesen, die "in der Sprache" statt "mit der Sprache arbeiten". Wer mit der Sprache arbeite, pflege eher einen journalistischen als einen schriftstellerischen Stil.

Da kann ich Schindel nicht folgen. Für mich ist das Spannende an Literatur die Interaktion mit dem Leser, die Kommunikation mit ihm - und wenn's nur ein imaginierter Leser ist. Für mich muss sich ein Autoren vor allem fragen: Wie schafft man es, Gefühle zu wecken? Wie vermittelt man dem Leser eine Botschaft, ohne dass sich dieser bevormundet vorkommt? Wie gewährt man dem Leser Zugang zu einer neuen Erlebniswelt, wie macht man ihn neugierig?

Natürlich ist es den Sprachartisten unbenommen, mit Wörtern zu experimentieren. Wie das Beispiel des erfolgreichen Autors Schindel zeigt, finden auch sie ihr Publikum. Ich persönlich mache als Leser einen Bogen um solche Texte. Und im Fernsehen sind sie besonders problematisch: Dort hört man den Text schließlich nur ein einziges Mal. Und wenn der Text dann auch noch nicht besonders klar vorgetragen wird, dann funktioniert das bei mir nicht. Ein solcher Fall war Bauer, dem es beim Vorlesen eher auf den Sprachrhythmus ankam, als auf Verständlichkeit.

Autoren, die "in der Sprache arbeiten" also? Für mich ist Sprache ein Kommunikationsmittel, kein Selbstzweck. Beim Schreiben einer Geschichte geht es um das Hervorrufen von Gefühlen beim Leser. Wer sich vom Leser abwendet, an ihm vorbeinuschelt - das bezieht sich nicht nur auf den Vortrag - vergibt die Chance dazu.

Gesunder Mix
Ein Reiz von Klagenfurt ist die gesunde Mischung: Pop-Texte wie der von Melanie Arns stehen neben Sprachexperimenten wie dem von Urweider, Kurzgeschichten wie der von Glaser und eher surreal-parabelhaften Texten wie dem von Pehnt. So sollte es meiner Ansicht nach bleiben.

(September 2002)

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