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Die Forelle


Eine harmlose, nette, kleine Geschichte, nichts für Leute, die gerne was über Probleme lesen (gibt's sowas überhaupt?)
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"Säubern, säuern, salzen – das ist das Geheimrezept", verkündete Simone lachend und ließ drei glitschige Forellen aus dem Plastikbeutel in eine Schüssel gleiten. Sie wusch die erste unter dem fließenden Wasser ab und zeigte sie ihrer Tochter.

"Ist sie nicht schön? Willst du sie mal anfassen?"

Natürlich wollte Anna. Mit beiden Händen griff sie nach dem silbern schillernden Fisch.

"Puh, ist das rutschig."

Bevor Simone etwas tun oder sagen konnte, war die Forelle schon auf dem Küchenboden gelandet. Simone kicherte und wusch den Fisch nochmal ab.

"Du musst sie mit einer Hand vorn nehmen und mit der anderen hier. Und nicht zu fest drücken, sonst flutscht sie dir aus."

Simone gab Anna den Fisch in die Hände und hielt ihn mit ihr.

Anna starrte den Fisch an.

"Mama, warum ist der Fisch so rutschig?"

"Hm", machte Simone. "Naja, ich glaube, das ist, weil er im Wasser lebt. Damit er schneller schwimmen kann. Und wenn jemand die Forelle fangen will, dann glitscht sie ihm aus den Fingern, und sie schwimmt ganz schnell davon."

"Und wer hat den Fisch gefangen?"

"Ein Fischer, wahrscheinlich mit einem Netz oder mit einer Angel."

"Und dann hat der Mann den Fisch mitgenommen?", wollte Anna wissen.

"Genau, damit wir ihn essen können."

"Aber er ist doch gar nicht tot, Mama. Schau mal, er guckt mich an."

"Natürlich ist sie tot. Die Augen sind nur offen, weil die Forelle sie gar nicht zumachen kann."

"Warum denn nicht, Mama?"

"Fische können die Augen nicht zumachen, das ist halt so."

"Aber wie schläft der Fisch dann?"

"Weißt du, die Fische schlafen mit offenen Augen. Wenn du in die Schule kommst, dann lernst du das auch."

Simone kannte sich aus mit Schülern, schließlich war sie Lehrerin.

"So, und jetzt waschen wir die anderen zwei. Jeder kriegt eine."

Simone beträufelte die Forellen mit Zitronensaft. Die dritte hielt Anna fest und wollte sie nicht hergeben.

"Das ist meiner. Mein Fisch soll nicht sauer werden. Ich wecke ihn auf."

"Ach Anna, gib sie schon her, sonst kommen wir nie zum Baden."

Das brachte Anna auf eine Idee.

"Das ist meine. Ich nehm’ sie mit zum Baden in die Isar, und da wacht sie dann sicher auf und schwimmt mit den anderen Fischen davon."

"Nein Anna, das geht nicht," sagte Simone.

"Anna will ihre Forelle zum Baden mitnehmen", klagte sie und sah Bernd an, der gerade mit zwei orangenen Schwimmflügeln und einigen Badetüchern beladen, in der Küche aufgetaucht war.

"Hm. Die Forelle ist doch schon sauber, warum willst du sie denn zum Baden mitnehmen?"

"Sie soll aufwachen. Und dann schwimmt sie mit den anderen Fischen zusammen."

"Ach so. Dann lass sie doch", meinte Bernd zu seiner Frau, "uns wird sie sowieso nicht glauben. Und wenn sie merkt, dass die Forelle nicht schwimmt, dann haben wir Ruhe."

"Du und Anna, ihr seid mir zwei", seufzte Simone, aber sie ließ zu, dass die Forelle zurück in den Plastikbeutel wanderte und in der Kühlbox verstaut wurde.

Es war kurz nach elf, als Simone, Bernd und Anna mit den Fahrrädern an der Isar ankamen. Sonst war Radfahren nicht gerade eine Spezialität von Anna, sie trödelte immer herum und fuhr langsamer als erwachsene Menschen gehen. Aber diesmal war sie mit Feuereifer bei der Sache und trat in die Pedale, als wäre der Teufel hinter ihr her.

Unterwegs quetschte sie ihren Vater über die Forelle aus, fragte, ob der Fisch träumt und von was, und ob die Forelle Freunde hat und ob sie die sehr vermisst und so weiter.

Bernd spielte mit und gab geduldig Auskunft.

"Sie träumt von dem Bach in den Bergen, wo sie geboren wurde. Und von den wilden Stromschnellen, und wie sie darüberspringt, und wie sie ihre Freunde trifft, die Kröten und die Frösche und Kaulquappen."

"Setz dem Kind keinen Floh ins Ohr, Bernd, bitte. Ich muss es dann wieder ausbaden, während du in der Arbeit bist."

Bernd grinste und schwieg.

"Aber wenn der Fisch in der Isar ist, findet er dann auch neue Freunde?"

"Wart nur ab, gleich sind wir da. Pass auf beim Absteigen, nicht dass du das Kleid zerreißt."

Sie schoben die Räder über die glatten Kiesel in die Nähe des Wassers. Simone breitete die Decke aus und Bernd holte seine zwei Bier aus der Kühlbox. Er baute ein kleines Becken, um sie im Flusswasser zu kühlen. Anna stand im Wasser. Sie hielt die Forelle und sprach mit ihr.

"Schau Papa, gleich schwimmt sie weg", rief sie aufgeregt, beugte sich zum Wasser hinab und hielt die Forelle hinein.

"Bernd bitte, pass auf, sonst verliert sie sie", rief Simone besorgt.

Anna sah sich zu ihnen um, kam ins Wanken und verlor das Gleichgewicht. Schwupps, lag sie im Wasser.

"Sie ist weggeschwommen", rief sie triumphierend und lachte. "Sie sucht sich jetzt neue Freunde."

(Juli - August 2000)

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