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Du hast dich verändert


Eine Ehefrau reist als Geschäftsfrau ab und kommt zurück als - na, das verraten wir lieber erstmal nicht
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"Warum müssen wir uns immer streiten?"

Michael Prechtl verstand seine Frau nicht, und sich selber vielleicht auch nicht.

"Früher haben wir uns doch immer gut verstanden, aber irgendwie - versteh mich bitte nicht falsch, ich mache dir keine Vorwürfe..."

"Nicht? Komisch, es hört sich so an, als würdest du gerade damit anfangen."

"Du hast dich verändert."

"Jaja, das soll schon ab und zu passieren. Irritiert dich das?"

"Ach, ich glaube, es hat ja doch keinen Sinn. Reden wir von was anderem. Was machst du heute?"

"Hab ich dir doch gesagt. Ich bin für eine Nacht in Paris, ein Termin mit so einem Modetypen."

"Wann geht dein Flieger?"

"Wieso?"

"Ich könnte dich bringen. Hab' heute keine Lust zu arbeiten."

Seine Frau war einverstanden. Im Auto sprachen sie über Mode, über Paris, den Frühling, aber nicht über die Liebe. Sie waren seit zehn Jahren verheiratet.

Michael fuhr nach Hause und goss sich Weißwein ein. Gegen Abend klingelte das Telefon. Er überlegte kurz, ob er abnehmen sollte - schließlich hatte er sich krank gemeldet. Er nahm ab und meldete sich mit heiserer Stimme.

Es war eine Frau. Der Name sagte ihm nichts, und sie sagte auch keinen Firmennamen. Einfach nur Frau Soundso. Den Namen hatte er zehn Sekunden später schon wieder vergessen.

"Ich bin eine Kundin von Frau Müller, Sie werden mich nicht kennen, aber ich wollte Sie verständigen. Da stand diese Nummer in dem kleinen Buch, und da hab ich mir gedacht, ich klingel mal durch, das gehört sich schließlich. Besonders, wenn so was passiert, also sowas ist mir noch nie passiert, in meinem ganzen Leben nicht."

"Moment mal. Woher haben Sie meine Nummer, wenn Sie mich nicht kennen?"

"Sag ich doch. Stand in dem kleinen Büchlein, so ein Adressenbüchlein, das hatte sie im Mantel stecken. Normalerweise guck ich ja nicht in die Manteltaschen fremder Leute, das müssen Sie mir glauben, da käm ich nie auf die Idee. Mein Mann hat immer gesagt ..."

Michael unterbrach sie.

"Also, und was wollten Sie mir sagen?"

"Wieso?"

"Sie haben gesagt, Sie wollten mich von irgendwas verständigen", sagte Michael und verlor allmählich die Geduld.

"Ja also, komm ich heute heim von der Arbeit und wunder mich schon, weil Frau Müller ja sonst immer die Türe aufmacht, wenn ich heimkomm. Ich schließ also auf und falle fast über Frau Müller drüber, wie sie da liegt im Treppenhaus. Das Treppenhaus, müssen Sie wissen, ist bei uns gleich hinter der Haustür. Und wenn man die Treppe runterpurzelt, fällt man genau auf die Kacheln vor der Tür."

"Moment mal, Sie wollen mir damit sagen, dass eine Frau Müller bei Ihnen heute die Treppe runtergefallen ist?"

"Ja und ich bin so furchtbar erschrocken, besonders weil sie nicht geantwortet hat, als ich sie gerufen hab. Ich bin dann gleich zum Dr. Notkagel rüber, der ist Arzt, müssen Sie wissen, und wohnt bei mir gleich nebenan. Und der hat sie gleich ins Katherinenkrankenhaus ... Ein schrecklich netter ..."

"Jetzt hören Sie mal zu, Frau ... Erstens: Ich kenne keine Frau Müller. Zweitens: Ich kenne Sie nicht, und ich weiß auch nicht, wie Sie an meine Nummer gekommen sind. Wahrscheinlich haben Sie sich verwählt. Drittens: Ich habe keine Lust, weiter meine Zeit mit Ihren Geschichten zu verschwenden."

Michael schmetterte den Hörer auf das Telefon und goss sich zur Beruhigung noch ein Glas Chardonnay ein.

Er schüttelte den Kopf. Leute gibt’s! Vielleicht sollte man doch nicht blau machen, da klingeln dann ständig Leute und sammeln für die Kriegsgräberfürsorge oder verkaufen Fernsehzeitschriften. Und wenn dann noch solche Idioten anrufen und gar nicht mehr zu stoppen sind. So eine Quatschtante. Müssen Sie wissen, müssen Sie wissen! Sicher besoffen.

Michael machte den Fernseher an und streckte sich auf dem Sofa aus. Ganz gemütlich muss man sich's machen. Nicht ans Telefon gehen und nicht aufmachen.

Als er wieder aufwachte, war es halb acht. Seine Frau war wahrscheinlich beim Abendessen mit diesem Modetypen. Hoffentlich hatte sie Francs dabei. Obwohl, sie hatte ja die Kreditkarte dabei, und außerdem wurde man als Frau ja immer eingeladen.

Ulrike hatte sich wirklich verändert. Dauernd war sie schlecht gelaunt. Nur manchmal am Abend, da konnte sie sehr witzig sein, wenn sie zu Abend gegessen hatten und es sich bei einem Glas Wein auf dem Sofa gemütlich machten. Wein wirkt doch manchmal Wunder.

Michael machte noch eine Flasche auf. Er würde nochmal versuchen, mit Ulrike zu reden. Am besten redet man über die Probleme. Aber wenn sie so schlecht gelaunt war, dann hatte es keinen Sinn. Michael nahm sich vor, sie zu fragen, wenn es ihr das nächste Mal gut ging. Er würde ihr die Stimmung verderben, aber es musste einfach sein.

Er musste wieder an den seltsamen Anruf denken. Woher hatte sie gesagt hatte sie die Nummer? Aus einem kleinen Büchlein. Einem Adressbüchlein. Er hatte sowas mal bei Ulrike gesehen, die Telefonnummern von ihren ganzen Freundinnen standen drin, und die von den Ärzten. Ihre Freundinnen rief sie jetzt auch immer seltener an. Er hatte das Büchlein bei Gelegenheit mal durchgesehen, Männer standen nur ganz wenige drin.

Moment mal, dachte er. Ihm fiel ein, dass da so ein rot umrandeter Bereich vorne drin war, wo ihre Telefonnummer drinstand. Bei Notfall bitte benachrichtigen. Und dann die Telefonnummer. Er schwitzte plötzlich, seine Stirn fühlte sich ganz heiß an. Aber seine Frau war doch ...

Fieberhaft kramte er in seiner Aktentasche nach dem Autoschlüssel. Was hatte sie gesagt? Katherinenkrankenhaus. Das war in der Belfortstraße. Halt, hab zuviel getrunken. Michael rief sich ein Taxi, und eine Viertelstunde später fragte er den Pförtner im Krankenhaus nach seiner Frau. Keine Prechtl.

"Und Müller, Ulrike Müller?"

Der Pförtner runzelte die Stirne. Wahrscheinlich hielt er ihn für verrückt, aber das war Michael jetzt egal.

"Ja, Müllers gibts eine ganze Menge."

Ja, auch eine Ulrike. Zimmer 23 im 4. Stock.

Michael bedankte sich und hastete über die Treppe hinauf in den vierten Stock. Dort hielt ihn ein junger Arzt auf.

"Ich möchte zu Frau Müller, bitte.", erklärte Michael.

"Sind Sie ein Angehöriger?"

"Ich bin ihr Mann."

Der Arzt musterte ihn und nahm ihn dann beim Arm.

"Kommen Sie. Wissen Sie schon bescheid? Nein? Ihre Frau ist schwer gestürzt, und zwar ... unter Alkoholeinfluss."

"Wie geht es ihr? Hat sie was?"

"Sie hat einen schweren Schädelbruch und ein paar gebrochene Wirbel. Gott sei dank war sie bewusstlos und hat sich nicht bewegt."

"Und wer hat sie hergebracht? Eine Frau?"

"Ja, Ihre Frau hat bei ihr Babysitting gemacht. Ein Kollege, ein Arzt aus der Nachbarschaft, hat die Erstversorgung gemacht."

(September 2000 - März 2002)

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