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Luise Rinser: Die rote Katze

- Inhaltsangabe und Interpretation -

Grausame Kinder: Rinser zeigt, wie hart die materielle Not der Nachkriegszeit selbst Kinder machte.

Inhaltsangabe

Der Ich-Erzähler, ein dreizehnjähriger Junge, sitzt auf den zertrümmerten Resten des elterlichen Hauses, das er mit seiner Mutter und seinen beiden jüngeren Geschwistern bewohnt. Beim Essen schnappt ihm eine magere, rote Katze einen Teil seiner Brotration weg. Er wirft einen Stein nach ihr, was ihm gleich danach leid tut. Er wirft ihr zur Entschuldigung noch ein Stück Brot hin. Auch seine Geschwister haben die Katze mit ihren Rationen gefüttert. Der Ich-Erzähler schimpft sie deswegen, weil sie doch selber nichts zu essen hätten.

Doch die Katze wird ständiger Gast bei der Familie, wird von ihr gefüttert. Der Ich-Erzähler wirft das Tier hinaus, versucht sie mit einem Fußtritt zu verjagen. Wieder tut es ihm gleich danach leid, und er gibt ihr noch etwas zu fressen. Als die Katze am nächsten Tag einen selbstgefangenen Fisch stiehlt und frisst, wirft der Junge ein Holzstück nach ihr. Die Katze verschwindet, doch die vorwurfsvollen Blicke der anderen Familienmitglieder bewegen den Jungen, nach der Katze zu suchen. Schließlich kommt sie von selbst zu der Familie zurück, ihre Wunden werden verbunden und sie wird wiederum gefüttert.

Im Winter 1946/47 wird die Ernährungslage katastrophal. Der Junge schlägt vor, die fett gewordene Katze zu schlachten. Doch die Mutter weigert sich kategorisch, schimpft ihn. Eines Tages nimmt der Junge die Katze und geht mit ihr fort. Schweren Herzens tötet er das Tier. Als sie endlich, nach langen Mühen, tot ist, wirft er den Kadaver in den Fluss.

Käseweiß, völlig fertig von der vollbrachten Bluttat, kehrt der Junge nach Hause zurück. Die Mutter begreift, was er getan hat, und versucht ihn zu trösten: "Ich versteh dich schon. Denk nimmer dran." Der Junge ist sich nicht sicher, ob er das richtige getan hat, als er die Katze getötet hat.

Interpretation

Rinser bildet mit ihrer Geschichte die unmittelbare Nachkriegszeit in Deutschland ab: Die Menschen hungern, und können zusätzliche Esser wie die Katze eigentlich nicht gebrauchen. Die Hilfsbereitschaft gegenüber der Katze zeigt aber, wie die handelnden Personen selbst in der Not noch anderen Lebewesen helfen. So wie die Deutschen in dieser Zeit Millionen von Vertriebenen aus Osteuropa aufnahmen, obwohl es ihnen selbst materiell nicht gut ging.

Gegen die eigenen Gefühle

Alle Familienmitglieder hängen an der niedlichen Katze. Der Ich-Erzähler jedoch erkennt, dass sie sich mit dem Füttern des Tieres einen Luxus erlauben, den sie sich kaum leisten können. Indem er das Tier tötet, handelt gegen seine eigenen Gefühle - denn kurz vor der Tat streichelt er sie noch. Die Tat geht ihm sehr nahe. Der Junge handelt, wie es ihm sein Verstand sagt, er tut, was ihm als das Notwendige erscheint.

Die Mutter reagiert verständnisvoll, schimpft ihn nun nicht mehr, wie vorher. Sie sieht, dass es ihm nicht leicht gefallen ist.

Kein Moralisieren

Die Geschichte ist von der Zielsetzung her nicht leicht zu verstehen. Das liegt wohl daran, dass sich die Autorin die Tat des Jungen nicht be- oder verurteilt. Rinser lässt den Jungen auch nach der Tat noch unsicher sein, ob er moralisch richtig gehandelt hat. Sie macht aber deutlich, dass es die Umstände sind, die den Jungen zu der Tat gebracht haben. Sie zeigt, wie die Not die Menschen hart, vielleicht sogar unmenschlich macht - selbst ein Kind wie den Ich-Erzähler. Wie der Hunger einen Jungen dazu bringt, zum Mörder - wenn auch nur an einer Katze - zu werden.

Entwürdigung des Täters

Die Tat überfordert den Jungen, entwürdigt ihn, so wie jeder Mord den Täter entwürdigt. Der Hunger lässt den Jungen aber auch über sich hinauswachsen: Er handelt wie ein Erwachsener, vertritt die Position des Vaters, der offenbar im Krieg verschwunden oder gefallen ist.

Die Geschichte ist aus der Sicht des Jungen geschrieben; die Hauptperson erzählt in Ich-Form von einer prägenden Erfahrung. Rinser schreibt in der Vergangenheitsform, nur die ersten und die letzten Sätze stehen im Präsens. Dabei verwendet die Schriftstellerin Umgangssprache.

Schlusssätze

"Und jetzt weiß ich nicht, ob es richtig war, dass ich das rote Biest umgebracht hab. Eigentlich frisst so ein Tier doch gar nicht viel." Diese Schlusssätze sollen den Leser wohl dazu bringen, über die ethische Beurteilung der Tat nachzudenken. Wenn man weiß, dass Rinser in ihren Werken häufig moralische Probleme aus christlicher Sicht behandelt, wird einem deutlich, dass sie die Tat wohl verurteilt. Dazu drängen sich zwei Bibelzitate auf: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein." Und: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst".

Luise Rinser

Eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der deutschen Nachkriegsliteratur, behandelte Rinser (1911-2002) hauptsächlich Fragen moralische Fragen aus christlicher Perspektive. Von den Nazis wegen Wehrkraftzersetzung mit Berufsverbot belegt und später inhaftiert, arbeitete sie nach dem Krieg als Journalistin und lebte in zweiter Ehe mit Carl Orff am Ammersee.

Bibliographisches

Letzte Änderung: Oktober 2002

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