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Roald Dahl: Lammkeule

- Inhaltsangabe und Interpretation -

Die Geschichten des Norwegers Dahl sind amüsant und allgemein beliebt. So auch diese schwarzhumoristische Krimikomödie.

Seidenschals, Kopfkissen, Arsen, Pistolen, Küchenmesser, vielleicht auch noch Äxte – das sind die Werkzeuge der Wahl, wenn es um einen Mord geht. Dergleichen Fälle gibt es zuhauf. Eine etwas raffiniertere Methode, jemandem den Weg um die Ecke zu erleichtern, hat Roald Dahl gefunden und exerziert sie vor in einer Geschichte, die passenderweise "Lammkeule" heißt.

Inhaltsangabe

Der Polizist Patrick Maloney kommt von der Arbeit nach Hause. Seine schwangere Frau Mary erwartet ihn schon; sie freut sich auf ihn.

Patrick trinkt seinen gewohnten Feierabend-Whisky, aber schneller als gewöhnlich, und holt sich noch einen Drink. Er hat keinen Appetit auf sein Abendessen. Mary schließt aus seinem Verhalten, dass er etwas auf dem Herzen hat.

Schließlich rückt Patrick damit heraus und erzählt es ihr. Mary ist geschockt und geht hinaus, um das Essen zu machen. Sie holt eine gefrorene Lammkeule aus der Tiefkühltruhe und geht zurück ins Wohnzimmer. Patrick steht mit dem Rücken zu ihr am Fenster. Sie holt mit der tiefgefrorenen Lammkeule aus und schlägt ihn nieder. Patrick ist tot.

Sie ist bereit, die Strafe auf sich zu nehmen, aber was würde aus ihrem ungeborenen Kind werden? Sie bringt die Lammkeule in die Küche und schiebt sie in die Bratröhre. Vor dem Spiegel versucht sie, natürlich zu wirken. Dann geht sie zum Lebensmittelladen nebenan und kauft Kartoffeln und Gemüse zur Lammkeule.

Sie sagt sich, sie wolle jetzt alles ganz normal machen, so als wüsste sie nichts vom Tod ihres Mannes. Sie kommt nach Hause, "entdeckt" den Toten und ruft in der Polizeiwache an. Die Kollegen ihres Mannes kommen sofort. Sie entdecken etwas Blut am Kopf des Toten: Patrick ist offensichtlich mit einem schweren Gegenstand erschlagen worden, "höchstwahrscheinlich mit einem großen Stück Metall". Sie suchen nach der Mordwaffe, können aber nichts finden.

Einer der Detektive wird zum Lenbensmittelhändler geschickt, um die Geschichte von Mary zu überprüfen. Dem Verkäufer ist nichts aufgefallen, Mary hat sich natürlich verhalten.

Nach einiger Sucherei haben die Polizisten Hunger. Mary bittet sie, die Lammkeule zu essen, da sie keinen Hunger habe und Patrick gewollt hätte, dass sie ihre Gäste gut bewirte. Nach anfänglichem Sträuben willigen die Polizisten ein.

Beim Essen rätseln sie noch immer über die Mordwaffe, denn "wenn man die Waffe hat, hat man auch den Täter". Einer von ihnen sagt, er glaube, die Waffe wäre noch im Haus oder Garten. Ein anderer antwortet scherzhaft: "Wahrscheinlich genau vor unserer Nase, was?" Mary Maloney beginnt zu kichern.

Interpretation

Arsen und Spitzenhäbchen

Roald Dahl erzählt eine klassische englische Kriminalgeschichte mit ironischem Unterton, etwa im Stil von "Arsen und Spitzenhäubchen". Die Perspektive mischt personale und auktoriale Erzählweise. Am Anfang dominiert die Sichtweise des auktorialen Erzählers, der die Hausfrau Mary so schildert, wie sie sich selbst nicht sehen kann ("...die Augen mit ihrem neuen zufriedenen Blick wirkten größer..."). Später wird aus ihrer Sicht erzählt ("Ihre erste Regung war, nichts davon zu glauben..").

Die brave Hausfrau

Mary ist die Hauptperson der Geschichte. Zu Anfang erscheint sie als brave Hausfrau, die ihren Mann liebt, und deren Augen Milde und das kommende Mutterglück ausstrahlen. Durch den Schock, dass ihr Mann fremdgeht, wandelt sie sich zur Totschlägerin. Von nun an wird aus ihrer Sicht erzählt. Dadurch erweckt der Autor Sympathie für sie. Sie ist keine berechnende Mörderin, die ihren Mann nach genauer Planung kaltblütig tötet, sondern sie begeht die Tötung im Affekt, als unmittelbare Reaktion auf das Geständnis ihres Mannes. Ihr Motiv erscheint verständlich.

Nach der Tötung jedoch reagiert sie äußerst kaltblütig. Sie gewinnt nach kurzer Zeit die Kontrolle über sich selbst zurück. Mary gewinnt die Sympathie des Lesers auch dadurch, dass sie selbst die Strafe für den Mord akzeptieren würde: Sie vertuscht den Mord nur zugunsten ihres Kindes. Mary vertuscht den Totschlag geschickt: Sie redet sich selbst ein, sie wüsste nicht, dass ihr Mann tot ist. Diese Autosuggestion verhilft ihr zu einem natürlichen Verhalten, was sie einsetzt, um den Lebensmittelhändler und die Polizisten zu täuschen. Der Leser muss ihre List in gewissem Maß bewundern.

Das Mordopfer, Patrick Maloney, wird nur am Rande beleuchtet. Er scheint eine schweigsame, eher geheimnisvolle Person zu sein, die ihre Gefühle nicht von sich aus preisgibt ("...die Art, wie er über seine Müdigkeit schwieg und still dasaß..."). Patrick spielt im weiteren Verlauf der Geschichte keine Rolle mehr.

Humor

Ihre humoristische Note gewinnt die Geschichte durch das Verhalten der Polizisten und durch die Reaktion von Mary darauf: Die Polizisten suchen nach der Tatwaffe, einem harten Gegenstand. Mary serviert sie ihnen. Auf die Idee, dass das zarte Fleisch noch kurz zuvor ein steinhartes Mordinstrument gewesen sein könnte, kommen sie nicht.

Gegenüber dem Humor tritt der Realismus in der Geschichte in den Hintergrund. Die Polizisten konzentrieren sich auf die Suche nach der Tatwaffe. Mary ist die Person, die Patrick Maloney zum letzten Mal lebendig gesehen hatte. Es gibt keine Anzeichen für einen Einbruch. Wenn Patrick niemand in die Wohnung gelassen hatte - wofür es keinerlei Anzeichen gibt -, käme niemand anderes als Mary als Mörderin in Frage. Doch das natürliche Verhalten von Mary und ihre persönliche Bekanntschaft mit den Polizisten hält diese davon ab, sie ernstlich zu verdächtigen.

Ironie liegt auch darin, dass ein Spezialist für Fingerabdrücke unter den Detektiven ist. Er hat natürlich keine Chance, da die Fingerabrücke auf der Mordwaffe - selbst wenn sie identifiziert worden wäre - durch das Braten zerstört worden sind.

Spannungsbogen und Pointe

Die Kurzgeschichten von Roald Dahl sind in ihrer Mehrheit Pointen-Geschichten. Hier liegt die Pointe darin, dass Mary den Polizisten die Lammkeule serviert, und diese die Mordwaffe nicht erkennen. Einer von ihnen sagt sogar, der Mörder wird die Waffe "nicht länger als nötig mit sich herumschleppen". Ein anderer rülpst zur Antwort, behält also einen Teil der Verdauungsprodukte auch nicht lange bei sich. "Wahrscheinlich genau vor unserer Nase", sagt ein anderer, und weiß nicht, wie recht er damit hat. Obwohl die Polizisten die Mordwaffe vor Augen haben, identifizieren sie diese nicht als Waffe. Sie suchen nach etwas Verstecktem. Dinge, die man vor Augen hat, die eigentlich nicht versteckt sind, werden nur am Rande wahrgenommen.

Die Geschichte lebt vom Humor - nicht von der Spannung, wie in einer Detektivgeschichte, die normalerweise aus der Sicht des Polizisten erzählt wird. Roald Dahl macht kein Geheimnis aus der Identität des Mörders. Ein Spannungsmoment liegt allenfalls darin, dass sich der Leser fragt, ob die Polizisten die Mordwaffe identifizieren können.

Roald Dahl

Der norwegisch-englische Autor (1916-1990) lebte abwechselnd in England und den USA. Er schrieb unter anderem handwerklich gut gemachte Pointengeschichten, die durch skurrilen, schwarzen Humor geprägt sind.

Neben "Küsschen Küsschen", "...und noch ein Küsschen" sowie "Kuschelmuschel" (1974) gehören zu seinem Werk insgesamt 19 Kinderbücher sowie Filmdrehbücher und -vorlagen wie "You Only Live Twice" (1967; James Bond), die Komödie "Chitty Chitty Bang Bang" (1968) und "The Gremlins" (1943).

Bibliographisches

Letzte Änderung: Juni 2005

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