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Beschreibungen

Die Landschaftsbeschreibungen von Karl May hat wohl fast jeder überblättert, aber gelungene Beschreibungen rufen einem Bilder vor Augen – Bilder, die man nicht mehr vergisst.
Inhalt:
  1. Einführung: Saftiges Gras und dunkle Wälder
  2. Die Quellen: Beobachtung und Phantasie
  3. Das Endprodukt: Die Sprache
  4. Die hohe Kunst: Metaphern, Bilder, Vergleiche

1.) Einführung: Saftiges Gras und dunkle Wälder

Eigentlich ist es ja trivial: Personen, ihre Handlungen, der Schauplatz, Gegenstände und Vorgänge müssen beschrieben werden, damit sie sich der Leser vorstellen kann. Trotzdem: Ich gestehe einen gewissen Widerwillen gegen Beschreibungen. Mir fallen dabei Landschaftsbeschreibungen von Karl May ein, mit saftigem Gras und dunklen Wäldern, wie die folgende:

Dabei kamen wir in ein ziemlich breites Tal, welches mit saftigem Grase bewachsen war; die Lehnen, von denen es hüben und drüben eingesäumt wurde, trugen unten Gebüsch und weiter oben Wald. Das Tal war vielleicht eine halbe Wegstunde lang und so schnurgerade, dass man von dem Anfange desselben bis an das Ende sehen konnte.[1]

Schrecklich öde, oder? Andererseits gibt es sprachliche Bilder, die mich begeistern, Bilder, die eine Person, einen Gegenstand oder einen Schauplatz äußerst plastisch machen. Ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel von Alfred Andersch:

Als sie die Kathedrale verließen, wartete bereits die Limousine, in deren schwarzen Lack man sich spiegeln konnte, ein mit schwach zitronenfarbenem Leder ausgeschlagener Sarg.[2]

Gute Beschreibungen können die Phantasie des Lesers in Gang setzen und damit Dinge zum Leuchten bringen. Gute Beschreibungen lassen aus Wörtern Bilder entstehen. Und damit helfen sie mit, dem Leser in einen lebendigen, kontinuierlichen Traum [3] zu versetzen.

2.) Die Quellen: Beobachtung und Phantasie

Voraussetzung für eine gute Beschreibung ist genaue Beobachtung, wie Rebecca McClanahan in ihrem Buch "Schreiben wie gemalt" schreibt.[4] Nehmen wir an, ich möchte eine Szene beschreiben, in der sich ein Mann und eine Frau im Lokal treffen, und schreibe dabei den Satz:

Sie hoben die Gläser, stießen an und tranken.

Wenn ich so was schreibe, will ich über die reine Situationsbeschreibung möglichst schnell hinaus zu dem kommen, was mir wesentlich scheint. Deswegen schreibe ich einen Satz, der sich eher wie eine Zusammenfassung liest. Der zitierte Satz sagt dem Leser etwas, statt es ihm zu zeigen: Man kann den Vorgang als Leser nicht sehen oder hören.[5, 6] Das ist nicht unbedingt schlecht, zum Beispiel könnte es das Ende einer Geschichte über einen Streit sein. Ist das Anstoßen aber der Beginn einer entscheidenden Szene, dann wäre der Satz wohl zu unsinnlich. Welche Art von Glas soll ich mir vorstellen? Halbliterkrüge mit Bier oder fein geschliffene Kristallgläser? Halten die beiden Personen die Gläser auf Augenhöhe, vor ihren Gesichtern, um sich in die Augen sehen zu können oder tun sie es beiläufig, die Gläser nur knapp über der Tischdecke? Beugen sich beide vor oder nur einer von ihnen? Wie stürmisch ist die Begegnung der beiden Gläser? Es ist seltsam: Obwohl solche Details eigentlich die Phantasie des Lesers einengen, dienen sie auch als Sprungbrett für die Einbildungskraft. Voraussetzung ist aber, dass sie den Leser nicht erschlagen. Wenn alles bis ins Kleinste beschrieben ist, engen die Details tatsächlich ein, schnüren der Phantasie die Luft ab. Mit der Genauigkeit kann man es also auch zu weit treiben.

Beobachtung, Erinnerung, Phantasie

Wie komme ich zu einer farbigen Beschreibung? Durch Beobachtung, Erinnerungen oder Phantasie – oder Mischungen davon. Beobachtungen sind meist fragmentarisch: Das Anstoßen ging ziemlich schnell, der Tisch, an dem das Pärchen saß, war relativ weit entfernt. Den Rest muss meine Phantasie leisten. Wenn zuviel Phantasie dabei ist, besteht die Gefahr, dass man nur klischeehafte Vorstellungen reproduziert.

Klischees

Der Vorwurf, ein Klischee geschrieben zu haben, gehört zu den häufigsten Vorwürfen gegen Texte, und zum schweren Geschütz. Klischee bedeutet Abklatsch, unschöpferische Nachbildung. Wenn man Klischee ruft, meint man häufig: Das hab ich schon zu oft gelesen oder zu oft im Film gesehen. Klischees gibt es in verschiedensten Formen: klischeehafte Ausdrücke wie "stolz wie ein Pfau", klischeehafte Charaktere wie die dumme Friseuse, klischeehafte Handlung wie die Rettung der Welt vor dem Bösewicht, klischeehafte Schauplätze wie der schattige Platz unter dem afrikanischen Baum, wo der Löwe in der Mittagshitze vor sich hindöst.

Schlampige Beobachtung und Klischee

Klischeehafte Beschreibungen beruhen oft auf ungenauer Beobachtung oder gar fehlenden Beobachtungen [4]. Eine Schnecke wird oft als hässlich, schleimig und eklig beschrieben. Wer genauer guckt, sieht vielleicht, wie elegant, wie weich und stetig sie ihre Bahn durchs Salatbeet zieht. Und umgekehrt: Ein Sonnenuntergang wird oft als wunderschön oder romantisch beschrieben. Wer genauer guckt, sieht vielleicht eine schillernde Öllache am Himmel, ein Spiegelei in einem Blutsee oder dergleichen.

Tipp: Bei jeder Szene, die hauptsächlich aus der Phantasie stammt, prüfen, ob sich Klischees eingeschlichen haben.

Details

Details sind wichtig für eine Geschichte. Oft gar nicht mal für den Fortgang der Geschichte. Aber überleg mal, wie du Aussagen im Alltag prüfst. Stell dir vor, ein Freund kommt zu spät zu einer Verabredung. Er sagt dir: "Der Bus hatte Verspätung." Glaubst du ihm? Eine ziemlich gewöhnliche Ausrede, oder? Sowas sagt man, wenn man sich schnell was einfallen lassen muss. Was ist aber, wenn er es so erzählt: "Der blöde Busfahrer hat direkt vor mir die Tür zugemacht. Ich bin noch nach vorne gerannt und habe dem Kerl Zeichen gemacht, aber der hat einfach stur weggeguckt und ist abgefahren." Für mich klingt das schon eher authentisch. Aussagen mit mehr Details schenkt man eher Glauben. Es klingt dann weniger wie erfunden.

Tipp: Details können eine Geschichte beglaubigen. [7]

Kleine Brötchen backen

McClanahan erzählt, dass über ihrem Schreibtisch ein Autoaufkleber klebt. Die Aufschrift lautete ursprünglich: Back keine kleinen Brötchen. McClanahan hat das "keine" durchgestrichen. Sie rät dazu, den Details den Vorzug vor den großen Ideen und Botschaften in einer Geschichte zu geben. Sie schreibt:

Einen Großteil unserer Kraft verwenden wir beim Schreiben nicht darauf, tiefe thematische oder symbolische Mysterien zu erhellen, sondern schlicht ... die Hauptfigur vom Bett zum Kühlschrank zu bringen. (S. 84)
Alle Sinne

Um gute Details zu finden, die unsere Geschichte beglaubigen können, ist es ratsam, alle Sinne zu beteiligen. Es gibt Creative-Writing-Autoren, die einem raten, auf jeder Seite mindestens einen Geruchs-, Geschmacks- oder Tasteindruck zu bringen. Vielleicht zu dogmatisch, aber die Richtung stimmt.

3.) Das Endprodukt: Die Sprache

Jede Beschreibung fußt auf Beobachtung - gegenwärtiger oder vergangener, fremder oder eigener. Aber die Beobachtung muss in Sprache gegossen werden. Am bildkräftigsten wird die Beschreibung, wenn ich dazu konkrete Wörter verwende, die mit einem Bild verknüpft sind. Abstrakta wie Liebe, Genuss, Leiden, Leben, Freiheit oder Tod sind manchmal unvermeidlich, aber die Konzentration darf nicht zu groß werden.

Tipp: Vorsicht mit Abstrakta

Substantive

Die für den Leser interessantesten Substantive sind anschauliche Wörter. Also nicht Seele, Schmerz, Kummer oder Angst, sondern Vorschlaghammer, Botanisiertrommel, Flugsalbe oder Chaiselongue. Was ist das Problem bei abstrakten Wörtern wie Freiheit, Leben oder Welt? Dass man nie genau weiß, wovon der Autor spricht oder was die Figur meint, die das Wort benutzt. Was bedeutet Freiheit? Das Wort wurde im Lauf der Jahrhunderte nicht nur von Politikern verdreht, sondern von jedermann. Auch Wörter für Gefühle wie Liebe, Kummer oder Angst sind problematisch. Wenn man solche Wörter unbedingt verwenden will, sollte man sie mit Konkretem koppeln, schlägt McClanahan vor: Die Schuld schleppt mir einen schweren Koffer hinterher. (S. 91)

Noch eine schöne Umschreibung von Herta Müller:

Wie heißt das Land, das an den Fingern reißt, wenn man die Koffer hebt? [8]

Solche Sätze sind konkret, lassen ein Bild entstehen. Das platte Substantiv Heimweh hätte ich mir nicht gemerkt, aber dieser Satz bleibt im Gedächtnis.

Adjektive

Adjektive, könnte man meinen, bewirken Genauigkeit, liefern Details, indem sie ein Substantiv genauer bestimmen. Könnte man meinen, stimmt aber oft nicht. Die efeubewachsene, alte Mauer: Hier werden zwei Adjektive verwendet, wovon "alt" gewissermaßen eine Folgerung aus "efeubewachsen" ist. Das aus dem Verstand kommende "alt" kann man streichen, das assoziiert der Leser selbst. Auf einer frisch verputzten Mauer wächst kein Efeu. (Nebenbei: Auch das verbliebene Adjektiv kann man noch wegrationalisieren, indem man Efeumauer schreibt. Das hat natürlich einen anderen Klang und muss nicht unbedingt besser sein als efeubewachsene Mauer. Kommt halt drauf an.)

Auf wertende, folgernde, erklärende Adjektive kann man weitgehend verzichten. Wer schreibt: Das mutige Hündchen ließ sich nicht einschüchtern. erzählt etwas über den Hund, zeigt es aber nicht. Wenn mir der Hund gezeigt wird, wie er die Vorderbeine in den Boden stemmt und knurrt, wenn der große Schäferhund vorbeigeht, wirkt es intensiver – weil ein Bild beim Leser entsteht.

Tipp: Wer zu viele Adjektive verwendet, macht aus seinem Text ein Tinnef-Regal. Am ehesten kann man auf wertende Adjektive verzichten.

Verben

Die meisten Geschichten enthalten eine Handlung. Nehmen wir ein Beispiel: Man kann schreiben: Hans bohrte in der Nase. Oder: Hans nahm eine Nasenbohrung vor. Das soll heißen: Die natürlichen Träger einer Handlung sind auf der Satzebene die Verben, nicht die Substantive. Nominalstil (also ein Stil mit vielen Substantiven und Substantivierungen) kann seine Berechtigung haben, wenn ein Bürokrat charakterisiert werden soll, wenn komische Effekte beabsichtigt sind (Nasenbohrung) oder wenn man das Tempo verringern will.

Tipp: Verben machen eine Handlung anschaulich und mitreißend. Nominalstil verringert das Tempo.

Aber auch bei den Verben gibt es Unterschiede. Die Aktiv-Form wirkt immer rasanter als die passive. Also nicht: Der Tomahawk wurde geworfen. Sondern: Der Komantsche warf den Tomahawk. Außerdem gibt es Verben, die wenig aussagen: sein, haben, müssen, wollen, können, sollen, mögen, pflegen, scheinen. Viel farbiger wirken Verben wie rasseln, klingeln, schmeißen, rasen. In Sachen Tomahawk ist Werfen auch nicht die optimale Lösung, oder? Was würdest du stattdessen schreiben? Ich schlage "schleudern" vor.

Tipp: Zustands- und Modalverben möglichst meiden, plastische Verben verwenden.

Filter

Vergleichen wir mal zwei Sätze:

  • Er sah die Gestalt langsam im Nebel verschwinden.
  • Die Gestalt verschwand langsam im Nebel.

Eigentlich bedeuten beide Sätze das gleiche, aber ihre Wirkung unterscheidet sich. Der erste lenkt die Aufmerksamkeit auf die Beobachtung und die beobachtende Person. Der zweite rückt den beobachteten Vorgang in den Mittelpunkt. Wenn man mehr den Beobachter beschreiben will als den Vorgang, könnte der erste Satz angebracht sein. Aber meistens wird es auf den Vorgang ankommen. Und dann ist der zweite Satz besser. Er lässt uns im fiktionalen Traum. Explizite Wendungen wie im ersten Satz (Er sah...) nennt McClanahan "Filter".

Tipp: Filternde Zusätze vermeiden

Passende Wörter

Das passende Wort zu finden, ist oft schwerer als man meint. Da kommt es nicht nur auf die Wortbedeutung an, sondern auch auf den Wortklang, auf die Assoziationen, die das Wort hervorruft und vieles andere.

So gibt es atmosphärische Adjektive, auf die ich ungern verzichten würde. Ein "verstümmelter Ahorn" zum Beispiel kann in eine Kriegsgeschichte sehr gut passen. Verstümmelt ist kein präzisierendes Adjektiv. In einer Kriegsgeschichte kommt es nicht darauf an, ob der Baum entlaubt, entastet, schwarz vom Pulverdampf ist oder ob der Stamm Einschusslöcher aufweist. Das Stimmungsadjektiv ist kürzer. Wie gesagt: Genauigkeit ist nicht alles.

Klattrige Fohlen
Dass die rein lexikalische Bedeutung nicht alles ist, zeigen auch Wortneuschöpfungen. Ein Beispiel ist der Ausdruck "klattrige Fohlen" [9]. Das Wort klattrig hielt ich beim ersten Lesen für ein Fachwort. Aber im Wörterbuch stand es nicht – es ist eine Neuschöpfung. Obwohl das Wort eigentlich gar nichts bedeutet, hab ich's auf Anhieb verstanden. Die Assoziation lieferte mir die Bedeutung, mein Verstand war viel langsamer. Erst beim Grübeln wurde mir klar, dass das Wort eine Zusammenziehung aus klapprig und zitternd ist. Der Verstand kann so langsam sein im Vergleich zur Assoziation.

4.) Die hohe Kunst: Metaphern, Bilder, Vergleiche

Die Limousine, ein mit schwach zitronenfarbenem Leder ausgeschlagener Sarg: Die anfangs zitierte Stelle von Andersch zeigt die Macht der Metapher. Metaphern, aber auch Bilder und Vergleiche machen die Literatur bildhaft. Wenn sie sitzen. Ansonsten verzieht der Leser das Gesicht. Aus der Schule kennen wie diese Dinge als Stilfiguren, und das klingt so, als wären es Dinge, die man nachträglich in eine Geschichte einbauen kann, damit sie hübscher wird, wie Schnörkel zur Verzierung von etwas Fertigem. [McClanahan, S. 125] Aber so funktioniert das nicht.

Botanisierbeton

Metaphern, Bilder, Vergleiche sind Ausdruck einer bestimmten Art, die Welt wahrzunehmen. Sie müssen zum Thema und zur Atmosphäre der Geschichte passen, und zu der Art, wie die Perspektivfigur die Welt sieht. Mir fiel vor kurzem in einer Schreibwerkstatt der Ausdruck "Botanisierbeton" ein. Ich dachte an eine spezielle Betonmischung, die man dazu benutzen kann, Blätter oder andere Pflanzenteile zu konservieren. Mir gefiel das und wollte es gern in meiner Geschichte verwenden, in der es um Lawinen ging. Prima, dachte ich, die Menschen werden vom Schnee zusammengepresst wie von Botanisierbeton. Aber das Wort Botanisierbeton allein hat schon einen komischen Klang, etwas Humoristisches. Das passte nicht zu meinem Protagonisten, dem der Lawinentod einer Nachbarin nahe ging. Metaphern sind kein Gewürz, was man über eine fertige Geschichte streuen kann, weil man das Zeug gerade da hat. Eine passende Metapher entsteht, wenn man über die Figur nachdenkt oder über das Ding, das man beschreiben will.

Bilder kommen nicht aus dem Nirgendwo

Gute Metaphern entstehen durch Beschäftigung mit dem Gegenstand, den man beschreiben will, nicht aus einem Bedürfnis, eine gute Metapher zu erfinden. Vor einiger Zeit besuchte ich den Kreuzweg in Donauwörth. Oben auf einem Hügel am Rande der Stadt stehen dort drei hohe Kreuze, und das bekannte Personal hängt daran. Dieses fränkische Golgatha wirkte so realistisch auf mich, dass ich überlegte, wie lange die drei hier schon hingen. Hinter dem Rücken des rechten Sünders hatten Wespen ein Nest gebaut. Von unten konnte ich die Insekten nicht gut sehen. Die verwesenden Leichen, die mir meine Fantasie lieferte, und die Wespen ließen mich an Fliegen denken: Ich hatte das Gefühl, dass die drei Gekreuzigten schon zweitausend Jahre dort hingen, dass Fliegen ihr verwesendes Fleisch umsurren würden. So entsteht eine Metapher.

Bedeutungsübertragung

Das griechische Wort metaphérein bedeutet woanders hintragen, und McClanahan behauptet, auf griechischen Lastwagen stünde oft das Wort Metaphora, um anzuzeigen, dass sie Dinge von einem Ort zum anderen transportieren. Metaphern sind Bedeutungsübertragungen. Häufig entstehen sie aus einer äußeren Ähnlichkeit. Rico [10] zitiert eine Metapher, die von einem Kind stammt:

Ein Stern ist wie eine Blume ohne Stengel.

Hier hat das Kind die gezackte Form, als die wir Sterne am Nachthimmel sehen, mit der gezackten Blüte zum Beispiel einer Margerite verglichen. Und was wird hier übertragen? Die Assoziationen, die wir beim Wort Blume haben. Ein Stern ist wie eine Blume ohne Stengel, das bedeutet für mich: Der Stern ist schön (wie eine Blume). Kinder können unglaublich originell sein.

Metaphern in der bildenenden Kunst

Auch in der bildenden Kunst gibt es Metaphern, wie Rico erklärt. In der Münchner Pinakothek der Moderne gibt es ein Werk von dem Minimal-Art-Künstler Fred Sandback, das "The Oasis" heißt. Es besteht im Wesentlichen aus vier Wollfäden in einem weiß getünchten Raum, zwei ockerfarbenen und zwei blauen, die sich über die gesamte Länge und Breite an den Wänden entlang ziehen. Beim Betrachten solcher Werke gibt es einen Moment, wo man plötzlich kapiert, "wie es gemeint ist", wo man einen bisher nicht gesehenen Zusammenhang erkennt. So eine befriedigende Einsicht hatte ich, als ich erkannte, dass die blauen Fäden das Wasser und die ockerfarbenen der Sand der Oase sind. Wenn man die Fäden länger ansieht, beginnt die gerade Linie außerdem zu flimmern – wie Oberflächen in der Hitze. Ähnliche Erlebnisse können auch sprachliche Bilder vermitteln.

Abgegriffene Bilder

Eine Schwierigkeit bei Metaphern ist, dass man allzu leicht bei Klischees landet. Ein Klischee ist ein abgegriffenes sprachliches Bild, sagt Rico. Ein Beispiel ist die Redewendung auf den Nägeln brennen. Ursprünglich ein Bild, aber wer denkt heute noch an Fingernägel, wenn er diese Redensart hört? Das Bild ist blass geworden bis zur Unsichtbarkeit. Ein weiteres Paradebeispiel ist das Wort Herz in seiner übertragenen Bedeutung. Besser, man umgeht das Wort, indem man eine Zusammensetzung wählt: Mut ist eher in einem Totgeschlagenenhaufen zu finden als in den Herzbeuteln der Männer. [9]

Beim Philosophieren über Bilder, Metaphern und Vergleiche haben Literaturwissenschaftler haushohe Papierstapel beschrieben. Dieser Artikel hat nicht den Ehrgeiz, die Ergebnisse zusammenzufassen. Er sollte nur eine erste Annäherung an das Thema sein.

Stefan Leichsenring

Bibliographisches

[1] Karl May, Winnetou I, Kapitel II, Klekih-petra

[2] Alfred Andersch, Mit dem Chef nach Chenonceaux, aus: "Geister und Leute", Walter Verlag, Olten/Freiburg, 1958 (vorletzter Satz)

[3] John Gardner, The Art of Fiction, zitiert nach David Michael Kaplan, Die Überarbeitung, Zweitausendeins Verlag, Frankfurt/Main, 2002, S. 153

[4] Rebecca McClanahan, Schreiben wie gemalt. Zweitausendeins Verlag, Frankfurt/Main, 2002

[5] Jack M. Bickham, Short Story - Die amerikanische Kunst, Geschichten zu erzählen, Zweitausendeins Verlag, Frankfurt/Main, 2002, S. 120

[6] David Lodge, Die Kunst des Erzählens. Haffmanns Verlag, Zürich, 1993, Kap.26: Zeigen und Erzählen

[7] John Gardner nennt das "Beweise" für die Wahrheit einer Geschichte, (zitiert nach McClanahan, S. 84)

[8] Herta Müller, Barfüßiger Februar, Rotbuch Verlag, Berlin, 1990

[9] Feridun Zaimoglu, Kanak Sprak: Rebellion der Minderheiten, Aufsatz in F.Z., Kopf und Kragen, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 2001, S. 8 - 21

[10] Gabriele Rico, Garantiert schreiben lernen, Rowohlt Verlag, Hamburg, 1984

[11] www.metaphorik.de

Letzte Änderung: März 2007

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