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Kurzgeschichten und Interpretationen
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Glossar zur Kurzgeschichte

Schlag- und Fachwörter, kurz erklärt oder aus der Sicht des Kurzgeschichten-Autors definiert 

Anekdote: Epische Kleinform, die das Charakteristische eines Menschen oder einer Situation in gedrängter, pointierter Form zeigt. Da so Charakteristisches selten wirklich passiert, werden viele Anekdoten erfunden. Anekdoten haben deshalb etwas Unrealistisches an sich. Pointengeschichten erscheinen oft anekdotenhaft. (Wer gute Anekdoten lesen möchte, dem seien die von Kleist empfohlen - es gibt sie im Web.)

Auktoriale Perspektive: Erzählweise aus der Sicht eines "allwissenden" Erzählers, der von außen berichtet und nicht eine der handelnden Personen ist. Siehe auch Perspektive

Auktorialer Ich-Erzähler: Ich-Erzähler, der aufgrund großer Distanz zum Geschehen auktorial wirkt. Erlebendes Ich und erzählendes Ich sind nicht mehr identisch, weil viele Jahre seit dem erzählten Geschehen verflossen sind. Siehe auch Perspektive

Außensicht: Das Geschehen, wie es von außen aussieht, also ohne Gefühle und Gedanken. In einer Geschichte geht es meistens darum, die Reaktion von Menschen auf ein objektives Geschehen zu zeigen. Dazu kann man schildern, was eine Kamera zeigen würde - die Außensicht -, was ein Protagonist dabei fühlt und denkt - die Innensicht -, oder beides.

Beschreibung: Das, was wir alle bei Karl May immer überblättert haben. Beispiel: "Die sanft gewellten Abhänge der Kordillere waren mit verkrüppelten kleinen Bäumen bestanden..." Außer Orts- und Landschaftsbeschreibungen finden sich in Kurzgeschichten auch Personenbeschreibungen, Beschreibungen von Dingen usw.

Charakterisierung: Den Personen eine Persönlichkeit geben. In der Kurzgeschichte beschränkt man sich meistens auf einen einzigen Charakterzug (z.B. ehrgeizig), der durch ein äußeres Erkennungsmerkmal verdeutlicht wird (z.B. Gehweise, Sprechweise)

Dramatische Elemente: Prosa hat mit den beiden anderen literatischen Grundformen Drama und Lyrik einige Elemente gemeinsam. Mit dem Drama die Handlung, die dramatische Konfliktstruktur und die wichtigen Dialoge.

Eingeschränkt-auktoriale Erzählweise: Dabei wird auktorial erzählt, aber nicht von einem allwissenden Erzähler. Oft wird zum Beispiel darauf verzichtet, die Innensicht der Personen wiederzugeben.

Eisbergtheorie: Theorie Hemingways, wonach bei einer guten Geschichte wie bei einem Eisberg ein Großteil der Wirklichkeit (meist die Gefühle der Personen) unsichtbar bleiben sollte und vom Leser zu erschließen ist.

Erlebte Rede: Technik zur Vermittlung von Gedanken in personal erzählten Geschichten, bei der im Gegensatz zum Gedankenbericht (Der Weg ist schwer zu finden, dachte er) der Gedanke wie etwas Gesagtes erscheint, z.B. "Wie schlecht zu finden war dieser Weg!" oder "Was sollte er nun tun?". Die Erlebte Rede steht in derselben Zeitform wie der Rest der Geschichte (meistens Imperfekt). Vergleiche auch Innerer Monolog .

Erzähler: Derjenige, der die Geschichte (scheinbar) erzählt. Wichtig ist, dass der Erzähler eine fiktive Figur ist, und nicht mit dem Autor verwechselt werden darf. So ist zum Beispiel Grass kein Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt, aber der Erzähler der Blechtrommel befindet sich dort. Einen persönlichen Erzähler haben nur Ich-Geschichten und auktoriale Geschichten. Aber auch bei der personalen Geschichte wird erzählt.

Handlung: Das Geschehen. Beim Schreiben einer Kurzgeschichte kann man grundsätzlich von einer Handlung oder von den Personen ausgehen. Sol Stein empfiehlt letzteres, aber es gibt auch andere Ansichten... (siehe auch Plot )

Ich-Erzählung: Geschichte, die aus der Sicht eines Ich-Erählers geschildert wird. Der Erzähler kann glaubwürdig sein oder unglaubwürdig (z.B. der Anfang von Grass' "Blechtrommel": "Zugegeben, ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt...").

Innensicht: Siehe Außensicht

Innerer Monolog (Stream of Consciousness): Unter anderem von Joyce im Ulysses verwendete Technik zur Darstellung von Gedanken, bei der die Gedanken mitgeteilt werden, und zwar im Präsens, z.B. "Hier stinkt es."

Konflikt: Das Grundelement zur Erzeugung von Spannung, die Triebkraft einer dramatischen Geschichte. Muss nicht in Streit oder gar einem Duell münden, es kann auch eine Polarität, eine Meinungsverschiedenheit sein.

Kurzgeschichte: Übersetzung des englischen Begriffs "short story". Im Gegensatz zu den großen Prosaformen Roman und Novelle ist die K. eine kurze, verdichtete literarische Erzählung. Die meisten Kurzgeschichten beschränken sich auf wenige handelnde Personen in einer komprimierten, geradlinigen Handlung. Oft mündet sie in einen dramatischen, effektvollen Schluss (Pointe). Statt der bei Romanen angestrebten vollständigen Handlung wird eine zentrale Aussage, eine einzige Stimmung, ein einziges Ereignis geschildert.

Lyrische Prosa: Prosa, die den Ton eines Gedichts aufweist und von lyrischen Elementen dominiert wird. Beipiel: "Ich geh dann, stummt sie, Rascheln schlägt ihr entgegen, der FC hat verloren, das weiss er doch längst, hat er doch morgens schon gelesen und ihr, ein Spiel bleibt uns ja noch, anstelle eines Guten Morgen ins Ohr kredenzt, wem uns, wollte sie fragen..." (C. Bauer)

Lyrische Elemente: Prosa enthält auch lyrische Elemente - vor allem Bilder und Beschreibungen, die den Kern der Lyrik ausmachen.

Narrative Zusammenfassung: Zwischen Szenen, die man sich als Leser vorstellen kann, schieben Autoren ab und zu narrative Zusammenfassungen ein. Sie geben dem Leser kein Futter für seine Phantasie, sondern nur Informationen über die Handlung. Häufig muss der Autor einen Protagonisten vom Schauplatz einer Szene an den der nächsten Szene bringen. Beispiel: "Klaus verließ seine Wohnung und fuhr mit dem Bus ins Büro."

Novelle: Längere Erzählung, bei der typischerweise ein Erzähler in einer Rahmenerzählung (z.B. Zusammenkunft am Lagerfeuer) anfängt, eine Binnenerzählung (die eigentliche Geschichte) vorzutragen. Goethe sah im Zentrum der Novelle "eine sich ereignete unerhörte Begebenheit". Beispiele: Giovanni Boccaccios "Decamerone", Kleists "Marquise von O." (rahmenlos)

Normseite: Literarische Mengeneinheit und Vorgabe für Verlagseinsendungen: Seite mit 30 Zeilen à 60 Anschläge, also maximal 1.800 Anschläge. Eineinhalbzeiliger Zeilenabstand, Schrift Courier 12. (Ich stelle die Seitenränder z.B. auf 2,9 Zentimeter links und rechts und 5,2 Zentimeter oben und unten). So eine Seite liest man in etwa zwei bis drei Minuten vor. Wenn in Wettbewerben von maximal zehn Seiten die Rede ist, sind meist Normseiten gemeint.

Parabel: Epische Kurzform, bei der ein Gleichnis erzählt wird, und zwar anders als bei der Fabel (Tiergleichnisse) ein menschliches. Beispiele: Das Gleichnius vom barmherzigen Samariter in der Bibel, Brechts Geschichten vom Herrn Keuner, Kafkas Parabeln

Personale Erzählweise: Erzählperspektive aus der Sicht einer der handelnden Personen (z.B. "Traurig ging er nach Hause."). Ermöglicht Schilderung der Gedanken und Gefühle des Er-Erzählers, lässt aber das Innenleben der anderen Personen nur durch Dialog oder Beobachtungen des Erzählers sichtbar werden.

Personen: Die Figuren der Handlung, bei der K. meist nur wenige (zwei oder drei). Wenn es zuviele sind, geht dem Leser leicht die Übersicht verloren. Außerdem fehlt in der K. meist der Platz, viele Personen zu charakterisieren. (siehe Charakterisierung )

Perspektive: Die meisten Kurzgeschichten sind aus der Perspektive eines personalen Erzählers oder eines Ich-Erzählers geschrieben. Die auktoriale Erzählhaltung wird in modernen Geschichten seltener verwendet. Dazwischen gibt es unzählige Varianten, z.B. die auktorial gefärbte Ich-Erzählung (Artikel dazu: Theorie: Die Perspektive in Kurzgeschichten).

Plot: Den Unterschied zwischen Handlung und Plot veranschaulicht folgendes Beispiel: "Der König starb, und dann starb die Königin" ist die Handlung einer Geschichte - das heißt die Geschehnisse und deren Reihenfolge. Ein Plot ergibt sich, wenn eine kausale Beziehung dazukommt: Der König starb, und dann starb die Königin aus Kummer (nach F. Gesing, Kreativ schreiben, Köln, 1994, S. 94) (siehe auch Handlung )

Pointe: Eine überraschende Wendung in einer Geschichte, steht oft, aber nicht immer am Ende. Besonders schöne Pointen ergeben sich, wenn der bis dahin eindeutige Hintergrund der Geschichte plötzlich mehrdeutig wird. Manchmal wird die Pointe vorbereitet durch Hinweise am Anfang oder im Verlauf der Geschichte (siehe " Vorbereitete Überraschung "). Charakteristisch sind Pointen zum Beispiel für die meisten Geschichten von O. Henry und Roald Dahl.

Prämisse: Die Essenz dessen, was eine Geschichte zu beweisen versucht. Auch Geschichten, die nicht bloße Illustration einer Weltanschauung sind, und die keine "Moral" haben, entstehen oft aus einer Prämisse, die dem Autor hilft, Kurs zu halten. Oft kann man das als Leser gar nicht mehr feststellen, so dass eine Prämisse nicht gleich der Aussage ist.

"Show, don't tell" (Zeigen, nicht erzählen): Forderung des amerikanischen Schriftstellers Henry James (1843-1916) zur Erzähltechnik: Über die Gefühle der handelnden Personen sollte man nicht berichten (z.B. "Er war wütend"), sondern sie zeigen, wie es der Film macht (z.B. "Mit einem Griff zerknüllte er den Zettel und schleuderte ihn durchs Fenster hinaus.")

Situationsgeschichte: Siehe Slice of Life

Slice of Life: Bei der slice-of-life-Geschichte steht am Ende keine Pointe. Sie verzichtet oft auf dramatische Handlung und versucht einen kurzen Einblick in das Alltagsleben eines Menschen zu geben, ihn in seiner natürlichen Umgebung zu beobachten und durch Alltagserlebnisse zu charakterisieren. Solche Geschichten haben oft einen offenen Anfang und einen offenen Schluss. Einige Beispiele sind: Joyces "Dubliner", Andersons "Winesburg, Ohio", Wolfgang Borcherts und Katherine Mansfields Geschichten.

Szene: Teil einer Geschichte, den man sich als Leser bildlich vorstellen kann. Beispiel: "Karin stürzte ins Zimmer. 'Du Arschloch', brüllte sie Thomas mit wutverzerrtem Gesicht an und schmierte ihm eine." Szenen laufen wie auf einer Bühne ab, etwa wie die Szene eines Theaterstücks. Geschichten bestehen meistens aus Szenen (mit Dialogen), Beschreibungen und narrativen Zusammenfassungen.

Titel: Was einen in die Geschichte reinzieht. Würdest du einen Roman kaufen, der "Stefan" heißt?

"Unity of Effect" (Einheitlichkeit der Wirkung): Forderung von E. A. Poe an den Kurzgeschichtenautor: Da eine Kurzgeschichte in der Regel in einer einzigen Sitzung gelesen wird, wirkt sie als ein Ganzes auf den Leser ein, statt wie beim Roman von Lesepausen unterbrochen zu werden. Deshalb sollte eine Kurzgeschichte eine einheitliche Stimmung haben (also ENTWEDER komisch ODER spannend ODER gruselig usw.)

Unzuverlässiger Erzähler: Ein Ich-Erzähler wie in der Blechtrommel: "Zugegeben, ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt..."

Vorbereitete Überraschung: Bei vielen Pointengeschichte erkennt der Leser im Rückblick, dass es in der Geschichte Hinweise auf die überraschende Wendung am Schluss gab. Der Leser wird durch etwas Unerwartetes überrumpelt und sagt sich doch: Das hättest Du dir ja eigentlich denken können; am Anfang der Geschichte war es ja eigentlich schon angekündigt. Die Trumpfkarte schon am Anfang herauslegen, aber so, dass es keiner merkt - das ist die Kunst dabei.

Zeitform: Die meisten Kurzgeschichten wie die meisten Romane sind in der Vergangenheitsform, dem Imperfekt, geschrieben. Aber auch die Gegenwartsform, das Präsens, kommt vor.

(Letzte Änderung: Dezember 2006)

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