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Theorie zur Kurzgeschichte

Zu viele Regeln verderben die Literatur. Trotzdem: Was sollte man bei einer Kurzgeschichte beachten?
  Inhalt:
 
Teil 1: In der Kürze liegt die Würze
Zum Anfang
 
Regeln und Gesetzesbrecher Zum Anfang
Regeln, wie man eine Kurzgeschichte zu schreiben habe, gibt es viele. Manche Bücher über das Schreiben versuchen, feste Regeln aufzustellen. Aber kein Autor wird eine gute Geschichte aufgeben, weil sie den angeblichen Gesetzen der Kurzgeschichte widerspricht.

Außerdem ist die Reihe der Gesetzesbrecher lang und enthält viele bekannte Autoren. Interessanter ist, woran es liegt, dass eine Geschichte "funktioniert", den Leser anspricht, und welche Kniffe und Tricks die Könner der Kurzgeschichte anwenden, um das zu erreichen.

Beginnen wir mit einer Trivialität: Kurzgeschichten sind kurz. Meistens umfassen sie zwischen einer und 20 Schreibmaschinenseiten. Kurt Martis Geschichte "Happy End" besteht z.B. aus knapp 200 Wörtern in einem einzigen Absatz.
 
"Unity of Effect" Zum Anfang
Eine kurze Geschichte wird meist in einer einzigen Sitzung gelesen. Die Geschichte wirkt also als ein Ganzes auf den Leser ein, statt wie beim Roman von Lesepausen unterbrochen zu werden.

Dieser Unterschied hat Auswirkungen auf die emotionale Stoßrichtung, also die Stimmung eines Prosawerks: In einem Roman kann die Stimmung wechseln, denn hier kann sich die Stimmung allmählich verändern. Bei einer Kurzgeschichte käe der Stimmungswechsel abrupt. Das kann bewirken, dass sich der Leser nicht auf eine Stimmung einstellen kann, ihm geht die Wirklichkeitsillusion verloren.

Einen ähnlichen Unterschied wie zwischen Kurzgeschichte und Roman gibt es in der Musik zwischen einem kurzen Stück - sagen wir einem Satz aus einem Instrumentalkonzert von Vivaldi - und einer großen Symphonie, etwa von Mahler. Man wird nur wenige kurze Musikstücke finden, in denen die Stimmung mehrmals wechselt.

Einer der Väter der short story, E. A. Poe, nennt das Prinzip "unity of effect": Eine Kurzgeschichte ist am besten ENTWEDER komisch ODER spannend ODER gruselig.
 
Fleisch in einer Kurzgeschichte? Zum Anfang
Eine Kurzgeschichte ähnelt einem kleinen Koffer: Es ist nur Platz fürs Notwendigste. Alles in einer Kurzgeschichte sollte deshalb sinnvoll sein, Äußerlichkeiten oder Zufälle lenken nur ab.

Ein Roman braucht Fleisch: ein interessantes Milieu, eine exotische Umgebung zum Beispiel, eine ferne Zeit aus Vergangenheit oder Zukunft, oder ein Sozialmilieu wie bayrische Bauern, Agenten oder Flugzeugpiloten. Eine interessante Umgebung schadet auch einer Kurzgeschichte nicht, soweit es nicht zu viel Raum kostet, das Milieu zu schildern.

Wenn zum Beispiel die Besonderheiten eines fernen Planeten geschildert werden, dann wird meistens entweder eine längere Erzählung daraus, oder die Handlung kommt zu kurz. Außerdem wird aus solchen Geschichten - sie entstehen oft als reine Phantasiegeschichten - oft eine "Räuberpistole", also eskapistische Literatur. Man bekommt eine Geschichte, deren Handlung zum Leben des Lesers in keiner Beziehung steht.

Landschaftsbeschreinbungen wie bei Karl May sind in Kurzgeschichten eher fehl am Platz. Bei Kurzgeschichten ist es meist unerheblich, wo sie spielen. Keine Regel ohne Ausnahme: Langgässer fängt in "Saisonbeginn" mit der Beschreibung eines idyllischen Berglandschaft an - einer trügerischen Idylle, wie sich am Schluss zeigt. Hier steht die Landschaft in Beziehung zur Handlung.
 
Ein einziges Geschehnis Zum Anfang
Ein Roman lebt von mehreren Handlungssträngen - z.B. einer Kriminalgeschichte und einer Liebesgeschichte. Eine Kurzgeschichte muss sich auf einen Handlungsstrang beschränken, für mehr reicht der Raum nicht. Die Kurzgeschichte gibt also meist nur ein einziges Geschehnis wieder. Wenn man dies außer Acht lässt, geht leicht die Einheitlichkeit der Stimmung verloren, oder man wird sprunghaft.
 
Raum und Zeit Zum Anfang
Die Kürze einer Shortstory hat Auswirkungen auf viele Aspekte einer Shortstory. So auch auf die erzählte Zeit. In einer Kurzgeschichte den Untergang des Römischen Reiches darzustellen, wäre wohl eine schwere Aufgabe. Man müsste sich einen Kulminationspunkt suchen, so wie es Dürrenmatt in seinem Drama "Romulus der Große" getan hat. Andererseits überstreicht die Kurzgeschichte "Unverhofftes Wiedersehen" von J.P. Hebel einen Zeitraum von 50 Jahren.

Was für die Zeit gilt, gilt sinngemäß auch für den Raum. Eine sinnvolle Handlung kann sich in einer Kurzgeschichte wohl kaum auf einen ganzen Kontinent verteilen. Denn man hat hier nur für wenige Ortswechsel Platz. Andererseits: Was ist ein Ort? Ein Land, eine Stadt, ein Stadtteil, ein Zimmer? Verkehrsmittel wie Auto und Flugzeug haben die Orte zusammengerückt.

Aristoteles hat für das Drama die Einheit des Ortes und Einheit der Zeit gefordert. Die Handlung sollte danach an nur einem Ort spielen und einen relativ kurzen Zeitabschnitt umfassen. Diese Regel gilt auch für die Kurzgeschichte.

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