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Sol Stein: "Über das Schreiben"

Ein Exzerpt eines nützlichen Buches für den Kurzgeschichtenautor: Theorie wirkt manchmal belebend.
 
Teil 3: Kapitel 15 bis 23
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Glaubwürdigkeit (Kap. 15) Zum Anfang
Glaubwürdigkeit ist ein zentraler Faktor beim Schreiben. Der Schlüssel dazu ist die Charakterisierung: Die Handlung eines Akteurs muss durch eine einleuchtende Motivation glaubwürdig gemacht werden.

Dazu ein Beispiel: Ein verheirateter Ingenieur mit einem guten Job bemerkt einen unbeaufsichtigten Kinderwagen und entführt das Baby. Wenn die Geschichte so begonnen wird, muss der Leser raten, wie der Mann dazu kommt, das Kind zu entführen. Der Leser hat das Gefühl, die Geschichte sei an den Haaren herbeigezogen. Denn die Entführung ist eine folgenreiche Handlung, für die es ein einleuchtendes Motiv geben muss. Zufälle, die nicht vorbereitet werden, wirken wie ein Trick des Autors, wie ein Deus ex machina.

 
Der heimliche Schnappschuss (Kap. 16) Zum Anfang
Um etwas zu erzählen, was Gefühle beim Leser weckt, schlägt Stein die Methode des heimlichen Schnappschusses vor. Man soll sich ein privates Foto denken, ein Foto, das so intim ist, dass man es weder in der Brieftasche herumtragen noch seinem besten Freund zeigen würde. Zu privat für eine Geschichte, wird man denken. Aber der Leser bekommt ja nur das Resultat dieser Übung zu sehen, nicht den Schnappschuss selbst.

Die besten Geschichten sind die, die verborgene Dinge ans Tageslicht bringen, über die wir im allgemeinen nicht reden.
Die wenigsten Leute interessieren sich für Fotoalben fremder Leute, werden aber neugierig, wenn es um ein Foto geht, das jemanden bloßstellt oder in Verlegenheit bringt. Man kann zu erraten versuchen, wie die Schnappschüsse von anderen aussehen könnten, aber das ist schwieriger. Deswegen rät Stein, mit den eigenen zu beginnen.

 
Alle sechs Sinne gebrauchen (Kap. 17) Zum Anfang
Die meisten Autoren beschränken sich auf Sehen und Hören und vernachlässigen das Fühlen, Schmecken und Riechen. Und den sechsten Sinn. Um dem Leser eine vielseitige Erfahrung zu vermitteln, sollte man alle sechs Sinne in einer Geschichte zu ihrem Recht kommen lassen.

Dabei braucht die Geschichte nicht angehalten zu werden, um den Sinneseindruck zu schildern: "Greg wusste, dass er den Leuten mit seinem Händedruck weh tat." Hier wird nicht nur ein Tasteindruck geschildert, sondern gleichzeitig eine Person charakterisiert und Neugier erweckt - nämlich, warum Greg trotzdem immer so einen schmerzhaften Händedruck austeilt.

 
Weniger ist mehr (Kap. 19) Zum Anfang
Stein empfiehlt, sich bei der Charakterisierung der Personen oder bei der Beschreibung des Schauplatzes auf das wichtigste Detail zu beschränken. Also beispielsweise nicht die Kleidung der Hauptperson vollständig schildern, als ginge es um eine Vermisstenbeschreibung. In Hinblick auf die Fantasie des Lesers ist weniger mehr.

Aufgabe des Autors ist es, die Wirklichkeit gerade so detailliert zu beschreiben, dass die Fantasie des Lesers in Gang gesetzt wird.

 
Tempo (Kap. 20) Zum Anfang
"Die Geschichte liest sich zäh" ist ein Todesurteil. Wie erhöht man also das Tempo? Kurze Sätze und kurze Absätze beschleunigen die Gangart. Ein scharfer Wortwechsel trägt weiter dazu bei. Man kann das Tempoempfinden auch steigern, indem man Schritte auslässt. Beispiel: Er wusch sich gründlich, rasierte sich das Kinn und verpasste den Siebeneinundvierziger." Anziehen, Kaffee, Warten auf den Zug werden ausgelassen - ein Tempogewinn. Man kann sogar eine ganze Szene auslassen.

 
Überflüssiges Fett (Kap. 21) Zum Anfang
Um das Tempo zu steigern und ihre Stärken herauszustellen, sollte man sämtliche Adjektive und Adverbien herausnehmen und nur die notwendigen wieder einfügen.
Überflüssige Wörter sind zum Beispiel: sehr, ziemlich, allerdings, fast, gänzlich, eigentlich, beziehungsweise, vielleicht.
Ein überflüssiges Adjektiv in dem Satz "Die verdächtige Ausbuchtung in seinem Jackett war zweifellos eine Waffe" ist "verdächtig". Man sollte das Wort streichen. Misstrauisch sollte man auch sein, wenn zwei Adjektive einander folgen, wie in diesem Satz: "Er war ein scharfzüngiger, streitbarer Reporter." Der konkreteren, der bildwirksamen Aussage sollte dabei der Vorzug gegeben werden. Auch bei doppelten Adverbien sollte man streichen. Beispiel: "Er erhob sich hastig und trat ruhelos ans Fenster."

Aufpassen heißt es auch bei zwei Bildern für einen Sachverhalt: "Er hatte Zeit, sich Gedanken zu machen, Zeit, ein alter Mann in Aspik zu werden, in Seife gepresst, sonderbar altmodisch und weiß."

Die Aussage "Eins plus eins ist die Hälfte" gilt nicht generell: "Ihr Ziel ist es, die Person in den Augen des Gerichts herabzusetzen, sie abzuwerten, zu demontieren, zu verunglimpfen, unglaubwürdig zu machen und zu schmähen..." Hier wird die Wirkung durch die Wiederholungen verstärkt.

 
Das Einmalige suchen (Kap. 22) Zum Anfang
Um die eigene Stimme zu finden, empfiehlt Stein folgende Methode: Man stelle sich vor, man stünde auf einem Hausdach und könnte der unten wartenden Menge einen letzten Satz zurufen, eine Botschaft, auf die die Welt aufmerksam wird. Wenn dieser Satz auch jeder Bekannte von einem rufen könnte, dann sollte man ihn solange ändern, bis er einmalig ist.

Dann feilt man an der Formulierung: Eine Frage könnte beispielsweise wirksamer sein als eine Aussage. Angenommen, ein nahestehender Mensch würde diesen Satz ablehnen: Mit welchen Worten würde man auf diese Ablehnung reagieren? Wenn man die beiden Sätze notiert, kommt man weiter, so Stein.

Dann sollte man sich vorstellen, die Menschenmenge hätte sich zerstreut, nur ein einziger wäre zurückgeblieben: der schlimmste Feind, den man hat. Nun müsste man den Satz noch einmal für diesen Feind wiederholen. Noch eine Aufgabe sollte man lösen: Wie würde man die Botschaft vermitteln, wenn man sie nur flüsternd an den Mann bringen könnte? Und nun der letzte Teil der Übung: Alle notierten Sätze vergleichen und den stärksten heraussuchen.

 
Das Tor zur Geschichte (Kap. 23) Zum Anfang
Der Titel ist ein Tor zur Geschichte. Man sollte ihn sorgfältig wählen. Als Beispiel für einen nicht so zugkräftigen Titel führt Stein ein Buch namens "Diego Rivera" an. Besser wäre "Das wunderbare Leben des Diego Rivera". Der Titel verspricht dem Leser einfach mehr. Richtig: Ein Titel ist ein Versprechen.

Ein guter Titel ist James Thurbers "Walter Mittys Geheimleben": Geheimnisse ziehen Leser magisch an. Viele gute Titel bedienen sich einer Metapher. Hemingway gab einem seiner Bücher der Reihe nach verschiedene Titel: "Wie die anderen sind", "Der Raum der Welt", "Die erschossen werden", "Die fleischliche Erziehung", "Eine italienische Chronik", und sogar "Die Seelenbildung des Frederick Henry". Schließlich wurde daraus - Gott sei Dank - "A Farewell to Arms", eine klangvolle Metapher.

Besonders erfolgreich sind metaphorische Titel, die zwei Elemente zusammenbringen, die normalerweise nicht miteinander in Verbindung gebracht werden: Zärtlich ist die Nacht, Der Fänger im Roggen, Die Früchte des Zorns.

Die restlichen Kapitel beschäftigen sich mit nichtfiktionaler Literatur und sind deshalb für den Kurzgeschichten-Schreiber weniger interessant.

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Letzte Änderung: September 2002

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