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Ernest Hemingway: Die Killer

- Inhaltsangabe und Interpretation -

Eine der bekanntesten Storys von Hemingway ist "Die Killer". Auch handwerklich ist sie interessant, denn hier gibt es weder Pointe noch Katastrophe.

Inhaltsangabe

Zwei Männer namens Max und Al betreten ein Esslokal im amerikanischen Westen. Sie schikanieren den Inhaber und den einzigen Gast; einen jungen Mann namens namens Nick Adams. Während Al den schwarzen Koch und Nick in der Küche fesselt und bewacht, wartet Max mit dem Kneipeninhaber George auf einen Schweden namens Andreson, der oft zum Abendessen in das Lokal kommt. Max erzählt, dass sie ihn umbringen wollen: Max und Al sind offenbar Auftragsmörder.

Doch Andreson kommt an diesem Abend nicht. Unverrichteter Dinge lassen die beiden Killer ihre Gefangenen frei UND ziehen ab. Auf die Bitte von George hin geht Nick in das Hotel, in dem Andreson wohnt, um ihn zu warnen. Er findet ihn in seinem Bett: Andreson weiß, dass man ihn umbringen will, will aber weder die Stadt verlassen noch die Polizei benachrichtigen. "Man kann nichts mehr dagegen tun", meint er. Der ehemalige Schwergewichtsboxer hat sich in sein Schicksal ergeben. Nick geht in die Kneipe zurück. Er ist schockiert von Andresons Fatalismus.

Interpretation

Spannung

"Die Killer" ist eine der bekanntesten Geschichten Hemingways. Ihr Reiz ergibt sich zunächst durch die Spannung, die aus dem geplanten Mord resultiert. Die Geschichte konzentriert sich hier darauf, die Provokationsversuche der beiden Killer zu schildern, ihre Gewaltbereitschaft und Brutalität, wobei aus heutiger Sicht interessant ist, wie sich die Muster der Aggressivität über die Zeiten erhalten haben.

Keine Pointe, keine Zuspitzung

Die Geschichte beginnt wie eine Pointengeschichte. Doch die Spannung wird nicht bis zum möglichen Höhepunkt - dem Mord - geführt, sondern sie wird eher abgebaut. Die Geschichte wird nicht auf eine Schlusspointe hin zugespitzt. Das unspektakuläre Ende der Geschichte ist typisch für Hemingway, auch wenn er etwa in "Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber" anders verfuhr. Dieses "zero ending" machte Hemingway zum Urahn der modernen Situationsgeschichte.

Eingeschränkt-auktoriale Perspektive

Hemingway geht es vor allem um den Widerhall des Geschehens in Nick Adams, dem Held vieler Geschichten des Amerikaners und Hemingways alter ego. Dennoch wählt Hemingway nicht die Perspektive von Nick. Stattdessen benutzt er die eingeschränkt-auktoriale Perspektive, also einen Erzähler, der nicht mit einer der Personen identisch ist (auktorial), aber auch nicht allwissend ist (eingeschränkt).

Erfahrung der Machtlosigkeit

Nick muss gefesselt und geknebelt in einem Nebenraum warten, während der Wirt erfährt, was die Killer vorhaben. Wenn Andreson erscheinen würde, könnte Nick nicht in die Handlung eingreifen. Diese Erfahrung der Machtlosigkeit ist ein Grund, warum das Geschehen einen bleibenden Eindruck bei Nick zu hinterlassen scheint.

Andreson flüchtet nicht

Außerdem erlebt Nick den Fatalismus von Andreson und ist schockiert. Andreson hat das Ausreißen satt. Er will nicht sein Leben lang davonlaufen. Er tritt den Mörder aber auch nicht - möglicherweise mit der Waffe in der Hand - entgegen, wie es in einem Hollywood-Western geschähe. Er scheut den Kampf, obwohl er ein ehemaliger Boxer ist. Vielleicht hat er den Kampf satt, oder er ist sich der Überlegenheit seiner Gegner bewusst.

Stoizismus im Angesicht des Todes

Nick wird vermutlich zum ersten Mal mit dieser Art von Schicksalsergebenheit konfrontiert. Andreson zeigt Nick eine neue Art, wie ein Mensch mit seinem eigenen Tod umgehen kann - den Stoizismus. Andreson hat akzeptiert, dass er sterben muss. Nick ist schockiert, weil er glaubt, man müsse den eigenen Tod irgendwie verhindern, um sein Leben kämpfen oder wenigstens flüchten. Andreson verhält sich anders. Im Kontext des Gesamtwerks von Hemingway wird deutlich, dass dieses Thema das zentrale Anliegen des Autors ist.

Hemingways Universalthema: Tod und Stoizismus

In vielen Geschichten Hemingways geht es um den Tod, den Tod, der von einem Helden als Teil des Lebens angenommen, akzeptiert werden muss. In der Francis-Macomber-Geschichte ist es der Titelheld, der durch die Gefahren der Safari vom Feigling zum mutigen Mann wird. In "Soldaten zuhaus" ist es ein junger Ex-Soldat, der den Friedensalltag trotz seiner Todeserfahrung im Krieg bewältigen muss. In vielen anderen Geschichten geht es um Tapferkeit im Krieg, im Stierkampf oder bei der Jagd. Hemingway bringt seine Helden in Extremsituationen, in denen sie sich mit dem eigenen Tod beschäftigen müssen. In diesem Sinne sind die meisten Geschichten Hemingways Initiationsgeschichten: Erwachsenwerden bedeutet, den eigenen Tod zu akzeptieren und ihm stoisch entgegenzusehen wie es Andreson tut.

Eisberg-Theorie

Die Aussage der Geschichte wird dem Leser nicht explizit präsentiert, sondern Hemingway folgt seiner Eisberg-Theorie, die er in seiner Nobelpreisrede so erklärt hat:

"If it is any use to know it, I always try to write on the principle of the iceberg. There is seven-eighths of it underwater for every part that shows. Anything you know you can eliminate and it only strengthens your iceberg. It is the part that doesn't show. If a writer omits something because he does not know it then there is a hole in the story."

("Ich versuche immer nach dem Prinzip des Eisbergs zu schreiben. Sieben Achtel davon liegen unter Wasser, nur ein Achtel ist sichtbar. Alles, was man [beim Schreiben] eliminiert, macht den Eisberg nur noch stärker. Es liegt alles an dem Teil, der unsichtbar bleibt. Wenn ein Schriftsteller [jedoch] etwas auslässt, weil er etwas nicht weiß, dann ist ein Loch in der Geschichte.")
Gefühle unter Wasser

Seiner Eisberg-Theorie folgend, löst Hemingway alle Gedanken und Gefühle Nicks in Handlung oder Dialog auf. Die Gefühle Nicks bleiben unter Wasser, werden kaum sichtbar. Nirgends in der Geschichte wird explizit gedacht oder gefühlt. Nirgends heißt es: "Nick fühlte sich elend" oder: "Nick war das Nichtstun Andresons völlig fremd: Wie konnte man herumliegen, wenn einem der Tod drohte?" Stattdessen wird Nicks Verstörung nur kurz, und zwar als Dialog, präsentiert: "Ich kann das nicht aushalten, mir vorzustellen, wie er da in seinem Zimmer wartet und genau weiß, dass er dran glauben muss."

Aus Autorensicht

Konflikt und Höhepunkt

Was kann man als Autor aus der Geschichte lernen? Zunächst treibt Hemingway - wie erwähnt - die Spannung nicht auf einen Höhepunkt zu, sondern baut sie ab. Hier verhält er sich anders, als es die meisten Lehrbücher über das Schreibhandwerk empfehlen. Fritz Gesing z.B.: "Nach dem Anstoß der Handlung kommt es zu einer unaufhörlichen ... Steigerung der Konflikte ... Der Höhepunkt zeigt dann die ... Entscheidung, die zu einer Lösung führt... Es folgt der Ausklang, nach Möglichkeit schnell, aber nicht abrupt, ohne Abschweifungen und lose Enden." ("Kreativ schreiben", Köln, 1994). In "Die Killer" ist nach dem Abtritt der Bösewichter die Luft raus, und der Rest der Story wirkt ein wenig wie ein Nachwort.

Ähnlichkeiten zum Drama

Außerdem hat "Die Killer" eine an das Drama angelehnte Erzählweise: Ein Großteil des Raumes wird für Dialoge verwendet, die oft ohne "sagte er" auskommen. Dazwischen gibt es kurze Handlungsbeschreibungen wie "George sah auf die Uhr hinter der Theke." Dies erinnert an Theaterstücke. Wenn Prosa im Allgemeinen dramatische Elemente (Handlung und Dialoge) und lyrische Elemente (Bilder und Beschreibungen) enthält, so verzichtet Hemingway auf den lyrischen Teil. Das kastriert die Prosa etwas, macht sie einseitig.

Eingeschränkt-auktoriale Perspektive

Schließlich ist "Die Killer" ein Beispiel für die eingeschränkt-auktoriale Perspektive: Das Geschehen wird von einem Erzähler vermittelt, der keiner der Protagonisten ist (auktoriale Perspektive), aber dieser Erzähler hat keinen Zugang zur Innensicht, zu Gedanken und Gefühlen der Protagonisten. Eine ähnliche Erzählsituation verwendet Raymond Carver in "Zeichen".

Identifikation erschwert

Um den Kern der Geschichte zu verstehen - den Schock, den der Stoizismus Andresons bei Nick hervorruft -, muss sich der Leser in die Gefühlswelt von Nick hineinversetzen. Doch Nick erscheint anfangs gar nicht so wichtig, er ist nur ein untätiger Beobachter, scheinbar eine Nebenfigur. Die nicht an eine Handlungsfigur gebundene Perspektive erschwert so dem Leser zu verstehen, worauf und auf wen es Hemingway ankommt. Eine personale Erzählweise aus Nicks Sicht wäre wohl besser gewesen.

Warum nicht im Hotel?

An der Handlung erscheint eine Sache unrealistisch: Die Mörder wissen zwar, dass Andreson jeden Abend in das Lokal kommt, aber nicht, in welchem Hotel er wohnt. Sonst wäre es für sie ja leichter gewesen, Andreson im Hotel umzubringen, wo es kaum Zeugen gegeben hätte. Zumindest hätten sie ihn dort aufsuchen können, nachdem sie vergeblich auf ihn gewartet haben.

Ernest Hemingway

Hemingway wurde 1899 in Illinois geboren, war im Ersten Weltkrieg als freiwilliger Sanitäter in Italien und berichtete als Korrespondent aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Um die Themen Stierkampf, Großwildsafari, Krieg kreisen seine Romane und Erzählungen. 1961 beging er Selbstmord.

Er gehört wohl zu den besten und - gerade in Deutschland - einflussreichsten Kurzgeschichtenautoren überhaupt. Seine 49 besten Geschichten gibt es in einem Band billig bei Rowohlt.

Bibliographisches

Letzte Änderung: Januar 2004

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